Sizilien (2) — San Vito lo Capo

Am nordwestlichen Zipfel Siziliens gibt es vieles, wobei sich dieses stets direkt neben jenem befindet, die Dinge also wild und lieblich in guter Nachbarschaft vorliegen. Über vier Kilometer Länge erstreckt sich die „Scogleria di Salinella“, ein bis zu 40m hoher Felsriegel mit mittlerem Meeresabstand von etwa 50 Metern. Fürs Auge ist das Farbspiel die reinste Freude: Grün und Gelb blühen Euphorbia und Fenchel, rot strahlen die Felsen und aquamarin schimmert das große Gewässer.

Und so hatten wir doch auch einige Tage unsere rege Freude an Hängematte und Strandurlaub mit endlosem Fels und Prädikatrouten hinterm Basislager, quasi in unserem Garten. Zustiege in Schlappen, zum Mittagssnack nochmal kurz nach Hause, zum Cafè sowieso; und weil bei 0 Minuten Zustieg die Tage selbst Anfang März zu lang für durchgängiges Klettern sind, profitiert die Seele auch von zuträglicher Unbekümmertheit, denn sorgen muss sie sich hier ganz sicher um nichts.

Doch wie die Tage so dahinfließen (ein typisches Phänomen des Sportkletterns, übrigens) und man aus der Zeit zu fallen droht, meldet sich doch das eigene Innere und fragt, ob dies nun noch Entspannung oder doch schon Langweile ist. Herzlichen Dank, möchte man da in sich hineinrufen, herzlichen Dank dir, liebes Aufmerksamkeitsdefizit, das die lasch gewordene Seele wieder etwas anzurren möchte. Nämlich in ein wenig Spannung, wenn nicht sogar in regelrechte ANSPANNUNG.

Ach, das ist ja toll, ein Abenteuerbedürfnis, klasse! Gut, dass das Kap San Vito auch hierfür etwas bereit hält: An der ikonischen Landmarke des Pizzo Monaco findet man einen Abenteuerspielplatz, den man, also wir, hier gar nicht erwarten würden. 200m lange Touren, sparsame Absicherung, wenig leichtes, nichts selbstverständliches. Die Route „Parole al vento“ (6c, 150m, 5 Sl) von Maurizio Oviglia et.al. muss bzw. möchte ich hervorheben und ganz außerordentlich bewerben: Ein grandios steiles Abenteuer mit einer Aneinanderreihung von hervorragenden Kletterstellen, die man selten so findet (ein Set Cams sollte man allerdings mitnehmen, die Schwierigkeiten sind recht obligat).
 
Nun also fanden wir die Seele hier bereits in zwei antithetischen Spannungszuständen, was sollte sie noch mehr begehren? Richtig, hinauf möchte sie noch, nämlich hoch hinaus. Da trifft es sich, dass Christoph Hainz und seine Freunde die längstmögliche direkte Route über den Ostpfeiler des Monte Monaco erschlossen und dabei eine unerwartet vollkommene Plaisirtour eingerichtet haben. Mit vielen vielen Metern Seil wurde hier jede mögliche Sanduhr zu einer Zwischensicherung gefädelt, dazwischen großzügig Metall eingebohrt und ideale Stände ergänzt. „Sogni d’oro“ (6b, 400m, 12 Sl) ist eine 5*-Genussroute in beeindruckendem Fels mit dem Meer im Rücken und zu allem Überfluss auch noch einem Gipfel mit fast kitschiger Aussicht. Tiefste Löcher, riesen Kellen. Darin: reichlich Leben jeder Art: Kakteen, Palmen, Blumen, Schnecken. „Ein Traum für jeden Botaniker!“ ist in Bezug auf Kletterrouten üblicherweise kein Qualitätsmerkmal — hier jedoch stimmt es und ein Traum ist nicht nur für Florafachleute.
 
Zwischendurch habe ich am 7.3.2025 erstmals das Wort „Wiederaufrüstung“ in Bezug auf die EU gelesen.

 

Weitere Beiträge