Pfalz: Klassiker klettern

Klassiker klettern
Wenn ich eine Sache wirklich lange machen kann, dann ist es vielleicht diese: Klassiker klettern. Wege zu klettern, die eine Historie haben, zu denen es etwas zu erzählen gibt, in oder an denen sich Geschichten ereignet haben. Kletterrouten mit Geschichte beziehen ihren Nimbus ja häufig daher, dass Menschen etwas an Bedeutung in dieses Stück Fels hineingelegt haben, dass ihm eigentlich gar nicht zu eigen ist. Erstmal ist da ja nur Fels, kalter, harter, toter Fels, Erd- und Sedimentschichten, die vertikal formiert wurden. Doch irgendwann kamen sie einmal, diejenigen, die sich mit dieser Sache auseinandersetzen wollten und eine Kultur um sie entwickelten.
Klassiker klettern kann heißen: körperlich nachspürend und seelisch nachfühlend eine historische Auseinandersetzung nachzuvollziehen, die Menschen — echte, lebendige Menschen — Generationen vor mir gelebt haben. Das Klettern kann so zu einer empathischen Tätigkeit werden, nämlich zum annäherungsweisen Hineinversetzen in die Situation anderer Menschen (natürlich je nach Zeitpunkt einer Erstbegehung nur sehr abstrakt. Modernes Material, Technik und Wissen verändern die Erfahrung fundamental. Für uns GenussklettererInnen ist das aber auch nötig, sonst könnten wir uns dort ja gar nicht bewegen.)
Der sportliche Ausdruck kann hier zum Medium einer kulturellen Auseinandersetzung werden. So wird das Klettern einer Route zur praktischen Umsetzung des vorherigen theoretischen, meist lesenden Studiums. Über Routen lesen, in Routen einsteigen. Das Einsteigen in eine Tour, deren Geschichte einem vertraut ist, kann ein ehrfurchtsvolles Erlebnis sein, das tief beglückt. Für mich wird eine Route erst dann wirklich interessant: Wenn ich mich in jene Bedeutung hineinversetzen kann, mit der frühere Menschen das vor mir liegende Stück Fels aufgeladen haben. Im Medium des Sportes maximal weit weg vom Sport selber sein.
Und wieso diese vielen Worte nun zu Bildern der Pfälzer Sandsteintürme?
Weil man, wenn man möchte, hier diesen Nachvollzug im Kleinen leben kann. Viele der klassischen Routen sind nicht selbstverständlich, wollen gut geplant und solide überdacht sein. Das kleine Abenteuer auf 30, 40 Meter. Man klettert einen Jubiläumsriss am Nonnenfelsen nicht im Vorbeigehen und spult auch keine Routen ab. Den Dingen Bedeutung verleihen. Ein wenig demütig auf den Schultern der alten Riesen stehen. Das macht das Leben unbedingt reicher.
Aber was rede ich hier nur von Routen. Ich weiß nicht, ob ich irgendwo schon einmal so ästhetische Felsformationen berührt habe. Man steht vor Türmen und kann es nicht glauben, berührt den Fels und kann es nicht glauben, klettert einen Weg und entwickelt ein fast erotisches Verhältnis zu dem eigentlich harten Stein, der hier so zärtlich weich daher kommt. Man möchte ihn streicheln, auf jeden Fall nicht zu grob anlangen. In einer kurzen stillen Beziehung mit den Waben und Rissen sein. Diese haptische Intensität kenne ich kaum aus Kalk oder Granit. Und auch wenn ich früher schon öfter in Pfalz und Elbsandstein klettern war: Irgendwie geht mir das heute näher, irgendwie greift es tiefer. Vielleicht entwickelt sich so ein romantischer Zugang ja auch erst mit den Jahren.
Vollendet wird dieser Überschwang zumindest mit einem Kletterpartner, der die Sache genauso fühlt. Mit dem man ihn teilen kann. Danke Hanni, dass wir uns immer wieder so sehr in unserer Begeisterung für ungefähr alles verlieren ❤️

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