Es waren keine geringeren als die Dresdner Visionäre Dietrich Hasse und Heinz Lothar Stutte, die ab den 70er Jahren regelmäßig nach Thessalien reisten und sich systematisch an die Erschließung von Kletterwegen auf die Kieselgipfel der Metéora-Felsen machten. In sächsischer Tradition führten sie ihre Erstbegehungen mit lediglich einer Mindestanzahl Ringen aus und brachten oben die typischen Schatullen der Gipfelbücher an, die einen jeden sächsischen Sandsteingipfel ziert. Die Routennamen der heimischen Wege brachten sie gleich mit: „Talwand“, „Ostkante“ oder „Gemeinschaftsweg“ sind bis heute die gängigen Bezeichnungen, die Topo und Gipfelbuch zwar auch auf Griechisch angeben, jedoch, ohne das Original zu unterschlagen, auch immer in Doppelbezeichnung.
Kieselklettern. Das ist keine physische Angelegenheit, das ist Achtsamkeitsübung und Seelenkontrolle. Der sächsische Stil blieb nämlich maßgeblich und bis heute sucht man häufig einen ersten Ring, der einem erst lange nach dem mutigen Aufbruch ins Ungewisse in der Ferne erscheint. Zweifellos: Wo ein Ring steckt, da braucht man ihn auch. Dazwischen jedoch klaffen gewünschte und faktische Realität gerne auseinander — wo und wie oft das passiert, variiert dann individuell Hier und da eine fragliche Schlinge um einen abschüssigen Block unterstützt die Moral zwar nach der klassischen Trad-Weisheit: „Muss nicht halten, muss nur da sein“ — an den exponierten Situationen, in denen man sich befindet, ändert sie jedoch nichts. Und diesen ist man sich besser bewusst: Nicht nur um der heilen Knochen willen, sondern auch der Seele, die diese Auseinandersetzung im Innersten zu rühren vermag und die es einem sicher dankt.
Nicht nur die Mönche kamen zur Auseinandersetzung hierher, auch wir tun es und werden nicht enttäuscht. Doch im Dezember ist hier Herbst und es ist das wildeste Spiel aus Farben und Blickwinkeln, aus Wolken und dem, was sie uns verdecken oder freigeben. Die Kehrseite ist die erhöhte Luftfeuchtigkeit bzw. der Dauerregen, der die Nordseiten verschließt, uns aber über magisch fluoreszierendes Moos vertikal bis geneigt wandeln lässt.
Überall fasst der Blick Kompositionen eigentümlicher Perfektion. Als hätte die Erosion, den Goldenen Schnitt im Sinne, bewusst gearbeitet. So wild und ursprünglich hier vieles daherkommt, die Gestaltung der Blickachsen schreibt man nur unwillig bloß natürlichen Prozessen zu. Aber ist dies vielleicht wieder jenes Zwischen, dem man hier so subtil wie stetig begegnet? Der Zwischenbereich, der die Dualität von Oben und Unten, von Gestern und Morgen, von Dies- und Jenseits für den Moment zur Synthese vermitteln mag: Vielleicht besteht er im Moment des bewussten Tätigseins an diesen Wänden. Ganz gegenwärtig, zwischen der Zeit, zwischen Oben und Unten.
Die heiligen Felsen von Metéora also. Überall dazwischen. Zwischen Abenteuer und Transzendenz.