Zumindest einmal im Jahr gemeinsam was ganz langes klettern — das hat sich über die Jahre als Maxime der Seilschaft Stefanderer/Taugenichts herauskristallisiert. Nach den Nordseiten von Badile und Fuorikante wollten wir es diesmal etwas wärmer angehen, also auf in eine der berühmtesten Südwände der Alpen, nämlich die, der Marmolada.
Wir haben mindestens aus taktischen Gründen gut Respekt vor diesem Gemäuer, denn wie immer gilt: lieber ein bisschen zu viel davon, als zu wenig. Insofern ist die Routenwahl für uns unkompliziert: „Don Quixote“ (VII, 750m) ist der vielleicht gängigste der langen Wanddurchstiege.
Mindestens vier Partien wollen an diesem gewitterfreien Sonntag auf gleicher Route durch die Wand steigen. Obwohl Stefan und ich nur einmal im Jahr miteinander klettern, sind wir eingespielt und klettern als Seilschaft üblicherweise auch ganz hohe Wände unterbrechungsfrei. Insofern ist unser Hauptziel, als erste Partie in die Wand zu kommen und allen Stau hinter uns zu lassen; schließlich wollen wir nicht nur die Bahn nach unten bekommen sondern Stefan auch noch heim nach München.
Zuversichtlich, dass niemand zu solch finsteren Unzeiten für 24 Seillängen Südwand aufsteht, steht unser Wecker auf 4:00 Uhr. Pustekuchen. Um 3:30 Uhr klingelt der Wecker einer italienischen Seilschaft. Also andiamo und in die Dunkelheit, in der sich Einstiege solcher Riesenwände besonders gut finden lassen. Unser Spürsinn jedoch ist schon wacher als wir und leitet uns (und in Folge auch die anderen Stirnlampen) zu den Einstiegskaminen. Wir verzichten nicht nur auf einen als Kaffeeersatz gedachten Energydrink sondern zunächst auch auf das Sichern, zu hell pressiert fremder Stirnlampenschein uns im Genack. Schließlich geht es anregend simultan steigend die ersten sechs Seillängen hinauf, gleich nochmal sechs sicherungstechnisch angepasste weitere Längen hinterher und auf das große Schuttband in der Wandmitte. Es ist noch nicht halb Acht und von der Sonne keine Spur — dafür aber auch von sonst niemandem mehr. Damit das auch so bleibt, sparen wir uns Pause & Energydrink weiter auf. Außer kurzer Wolkenauflockerungen und dem auf komfortabler Distanz bleibenden Italienisch werden wir von beidem, Sonne & Seilschaften, nichts mehr mitbekommen.
Im oberen Teil beginnen wir erstmalig, Seillängen und Kletterpassagen bewusst wahrzunehmen. Während die Wand im unteren Teil recht unstrukturiert abbricht, bildet sich der Pfeiler der Marmolada d’Ombretta oben zu einem gigantischen Plattenschild erster Güte aus. Ein erstaunlich athletischer Überhang leitet an fränkischen Löchern vom großen Band hinweg in die weite Haltlosigkeit, doch leider nicht mitten in sie hinein, sondern am linken Pfeilerrand über immer wieder veränderungsfreudiges Gestein hinauf. Hier mal eine schöne Platte, dort eine nette Verschneidung, sonst jedoch will bis zu den allerletzten Längen nicht wirklich etwas im Kopf bleiben. Aber gut, je schneller es dahin geht desto früher ist Stefan zurück daheim. Schlüssellänge Nr. 21 klettern wir auf der von Heinz Grill erstbegangenen Variante durch eine Rissverschneidung: kräftiges Piazen, weites Spreizen, zornig 7. Grad. Spaßig, gut gesichert, erinnernswert (immerhin). Anschließend eine technisch überraschend anspruchsvolle Lochplatte (6+) und zwei nochmals überraschende, da überraschend heikle Längen (5+, 4) durch splittrige Verschneidungen an windigen Ständen — es sind diese letzten vier Längen, die uns nach 20 Längen Zustieg im Kopf bleiben werden.
Auf eine wenig sonnige Südwand folgt ein aussichtsloser Gipfel, einzig kurze Fenster geben ungewohnte Blicke auf die mittlerweile doch ganz gut vertrauten Wände ringsum frei. In perversem Genuss wandert das ortsunübliche Energiegetränk nun doch noch in uns und wir anschließend durch den seltsamen Versorgungstunnel in die Seilbahnstation hinein. Es gibt inkommodere Abstiege. Nicht erst dort, eigentlich schon am Gipfel die uns beiden durch den Hirnstamm ziehende Frage: War das jetzt eigentlich eine gute Tour? Wir wissen es nicht. Für uns fühlte sich die Kletterei nach jenem typischen einfachsten Wanddurchstieg an, der sie auch ist. Was haben wir dann eigentlich anderes erwartet? Auch keine Ahnung.
Was wir aber wissen: Es ist der größte Genuss und ein Privileg, in dieser Seilschaft klettern zu dürfen. Das jederzeitige stille Einverständnis über ungefähr alles, das konstante und stetige Klettern mit der ersten Pause am Gipfel sowie die gleiche Auffassung des Verhältnis’ Sicherheit—Schnelligkeit. Einen Tag in dieser idealen Einigkeit und dazu noch in einer so großen Wand verbringen zu dürfen, ist ein wenig alltägliches Glück, dass es aber unbedingt wert ist. Ganz gleich, durch welches Medium, sprich: durch welche gewählte Klettertour, es sich realisiert.











