Zu dritt steigen wir zum Salbitbiwak auf, zu dritt in die erste Länge der „Via Hammerbruch“ (6b, 380m) ein und nur noch zu zweit in Länge zwei. Beim ersten schwierigen Zug springt Stefans Schulter zunächst raus, dann wieder rein und hinterlässt einen Bindegewebsschaden. Eine lange Anreise und ein langer Zustieg, dann ein paar Klettermeter und für Stefan endet der gemeinsame Ausflug, bevor er richtig begonnen hat. Stefan steigt ab, Max und ich weiter vor.
 
Es ist mein erstes richtiges Alpinklettern seit einer ganzen Weile. Lange war unklar, wie es damit eigentlich weitergehen sollte. Verletzung, andere Prioritäten, ein Leben, das sich verschiebt. Und doch ist es von einer Leichtigkeit, die mich überrascht, angesichts der anspruchsvollen Aufgaben die dem untrainierten Körper vom zugehörigen Geist gestellt werden.
 
Woran liegt’s? An der nahenden biographischen Wende, die das eigene Klettern etwas aus dem Fokus setzt? Schließlich wird alles leichter, was vom Zentrum der eigenen Aufmerksamkeit in die nähere Peripherie verschoben wird. Wer nicht muss, der darf – ein großer Freiheitsgewinn.
 
Oder liegt es an der vielleicht fast etwas überraschend guten Gesellschaft? Max und ich kannten einander kaum und wurden erst durch Stefans Sturz zu direkten Seilpartnern. Die möglichen Kletterziele waren ohnehin gemeinsame, jeweilige Stärken ergänzten sich ideal. Und spätestens nach den ersten fordernden Längen war das wechselseitige Vertrauen voll gegeben. Ganz auf Augenhöhe, in Heiterkeit und Offenheit.
 
Gute Voraussetzungen für größeres, also weiter zum Furkapass, hinauf zur Grauen Wand und zum Beginn der „Conquest“ (7a, 350m). Zunächst zwei Stunden, dann noch sechs Seillängen Zustieg und wir stehen unter dem berühmten Urner Orange: Eine spiegelglatte, leicht überhängende Wand, durchzogen von nur vier Rissen. Unserer misst 50 Meter. Hier lernen wir nicht nur einiges in Sachen Demut, sondern auch über die außergewöhnlichen Fähigkeiten eines Yves Rémy.
 
Einen Tag später erreichen wir über Platten und verboten gute Risse den zerklüfteten Gipfel des Groß Bielenhorn; ebenfalls auf den Spuren der Messieurs Rémy. „Nolens Volens“ (6c, 380m) geht es hier hinauf, ob man will, oder nicht. Und wir wollen. Denn dieses Stück Fels gehört (neben fast allem heroben) zu dem besten Granit der Schweiz. Und da ist es wieder, dieses alte Gefühl: Nirgendwo anders lieber sein zu wollen. An keinem Ort der Welt. Zu keiner anderen Zeit als jetzt. Ganz gegenwärtig hier. Zwischen Steinbrechpolstern und Vergissmeinicht, auf einem kleinen Absatz an zwei Bohrhaken, zwei Seile in den Händen, der Blick: weit. Nach außen, nach innen.

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